Bundesinstitut für Arzneimittel votiert für freien Verkauf der „Pille danach“: Frauenärzte bleiben bei der rezeptfreien Notfallkontrazeption skeptisch (15.01.2014)

Köln. Kondom kaputt, Antibabypille vergessen? Nach ungeschütztem Sex ist die zügige Einnahme der „Pille danach“ gefordert, wenn eine Schwangerschaft vermieden werden soll. Ist der Frauenarzt erst nach dem Wochenende für ein nötiges Rezept wieder erreichbar, wird die Zeit dafür knapp. Nach mehr als zehn Jahren könnten jetzt aber auch in Deutschland die Ampeln für eine rezeptfreie „Pille danach“ auf Grün umspringen: Nach dem Bundesrat hat nun auch der Fachausschuss für Verschreibungspflicht beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Aufhebung der bisherigen Rezeptpflicht empfohlen. Die Experten sähen keine medizinische Notwendigkeit, länger an ihr festzuhalten, teilte die Bundesoberbehörde am 14. Januar 2014 mit. Die Gynäkologen der ärztlichen Genossenschaft GenoGyn zeigen sich indes besorgt.

Grundsätzlich sei es sicher begrüßenswert, dass die betreffenden Frauen möglichst ohne Verzögerung frühzeitig ein Notfallkontrazeptivum einnehmen, heißt es aus dem Vorstand der GenoGyn. Auf der anderen Seite stehe die Sorge, dass viele dieser Frauen nicht mehr für die mit der Verschreibung der „Pille danach“ verbundene Beratung erreichbar sind. Häufig benötigten gerade die Frauen eine Notfallkontrazeption, bei denen eine erweiterte Verhütungsberatung besonders angebracht wäre. Und die Erfahrung in der Praxis zeige, dass in vielen Fällen ein gleichzeitiges Gespräch über nachhaltigere Möglichkeiten der Kontrazeption durchaus gewünscht und oft hilfreich sei, damit diese Pille künftig gar nicht erst erforderlich wird. So biete zum Beispiel die regelmäßige Einnahme einer handelsüblichen Antibabypille auf jeden Fall mehr Sicherheit als die Notfallpille, so der GenoGyn-Vorstand weiter. Nachts an der Ausgabeklappe der Apotheke beim Verkauf der „Pille danach“ sei entsprechende Beratung nicht zu leisten. Die Gynäkologen sehen zudem die Gefahr, dass Frauen durch den rezeptfreien Erwerb die empfohlene ärztliche Nachsorge im Gefolge der Einnahme des Präparates aus den Augen verlieren könnten. Ausdrücklich weisen die Frauenärzte darauf hin, dass die BfArM-Empfehlung nur die „Pille danach“ mit dem Wirkstoff Levonorgestrel betrifft. Die neuere und nach ersten Vergleichsstudien effektivere Alternative mit dem Wirkstoff Ulipristal bliebe weiter verschreibungspflichtig. Diese Unterscheidung sei nicht nachvollziehbar und könne zudem zur Verunsicherung der Frauen beitragen.

Für beide Wirkstoffe gilt: Je früher sie eingenommen werden, desto zuverlässiger ist ihre Wirkung. Die bislang „klassische“ Variante mit dem Wirkstoff Levonorgestrel wirkt binnen 72 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr, allerdings nimmt ihre Wirksamkeit bereits nach 48 Stunden deutlich ab, ehe sie jenseits der 72-Stunden-Grenze auf null sinkt. Die „neuere“ Variante mit dem Wirkstoff Ulipristal ist seit 2009 erhältlich und kann noch bis zu fünf Tage nach ungeschütztem Sex ungewollte Schwangerschaften verhindern. In ersten Vergleichsstudien schnitt das Ulipristal-Präparat, das weiterhin verschreibungspflichtig bleiben wird, in Bezug auf die Zuverlässigkeit statistisch besser ab als der Levonorgestrel-Konkurrent. Potentielle Anwenderinnen der „Pille danach“ sollten über diese Unterschiede informiert sein, meinen die Frauenärzte der GenoGyn.

Die postkoitale Pille verhindert oder verzögert hormonell den Eisprung der Frau. Wird die Pille erst eingenommen wenn sich die Eizelle bereits aus dem Eierstock gelöst hat, kann die „Pille danach“ eine Befruchtung nicht verhindern. Die Notfallverhütung wirkt nur rückwirkend und zeitlich eng begrenzt. Rechtzeitig eingenommen kann sie lediglich den Eintritt einer Schwangerschaft unterbinden, nicht jedoch eine bereits eingetretene Schwangerschaft beenden. Damit unterscheidet sie sich grundsätzlich von sogenannten Abtreibungspillen.

Das BfArM-Expertenvotum für die Abschaffung der Verordnungspflicht für das Levonorgestrel-Präparat wird nun als Empfehlung ans Bundesgesundheitsministerium weitergeleitet. Dessen neuem Chef Hermann Gröhe obliegt dann die Entscheidung, ob die Rezeptpflicht fällt oder nicht. Der CDU-Mann will zwar zunächst die schriftliche Begründung der BfArM-Empfehlung abwarten, die Union hatte aber bereits vor der Wahl eine Freigabe abgelehnt. Weil das Thema auch im Koalitionsvertrag mit der SPD ausgespart worden ist, bleibt das Ergebnis abzuwarten. Das gilt auch für die Frauenärzte der GenoGyn, die im Falle einer rezeptfreien Notfallkontrazeption fehlende Verhütungsberatung und die medizinischen Folgen zunehmender unkontrollierter Anwendungen befürchten.

Die mit der rezeptfreien Abgabe der „Pille danach“ verbundene Forderung einer entsprechenden Beratung hält die ärztliche Genossenschaft für realitätsfern. Denn eine Beratung zu geeigneteren Verhütungsmethoden, die über die bloßen Einnahmehinweise hinausgeht, sei im Verkaufsraum einer Apotheke kaum möglich und könne nur in einer Arztpraxis erfolgen. Die „Pille danach“ sei eine medizinische Notfallmaßnahme, auf die nur in Ausnahmefällen zurückgegriffen werden sollte. Es stehe zu befürchten, dass die Abgabe ohne Rezept und ohne Inanspruchnahme ärztlicher Sachkenntnis letztlich sogar für die Betreffenden von Nachteil sein kann. Nach gründlicher Abwägung spricht sich der Vorstand der GenoGyn daher für die Beibehaltung der Rezeptpflicht aus.