Offener Brief an den KBV-Vorsitzenden! (14.07.2008)

An den Vorstandsvorsitzenden
der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
Herrn Dr. med. Andreas Köhler
Herbert-Lewin-Platz 2
10623 BerlinSehr geehrter Herr Dr. Köhler,

um die unerträgliche Verunsicherung in der Prävention des Mammakarzinoms zu verändern, wende ich mich im Namen vieler niedergelassener Gynäkologen/Gynäkologinnen an Sie. Nach unserem GenoGyn-Seminar „GynFORUM Wirtschaft und Recht“ Mitte Juni, mit dem Schwerpunktthema „Rechtliche Aspekte des Mammographie-Screenings“, Referent: Dr. Dr. Thomas Ufer aus der Anwaltskanzlei Dr. Halbe in Köln, sehen wir akuten Handlungsbedarf.

Seit dem Jahre 2002, in dem der Deutsche Bundestag das Mammographie-Screening beschlossen hat, ist das Screening heute nahezu flächendeckend mit ca. 100 Zentren etabliert. Es wird Ihnen bekannt sein, dass im Screening-Programm Mammakarzinom lediglich Frauen zwischen 50 und 69 Jahren erfasst werden. In dieser Altersgruppe entstehen aber nur ca. 50 Prozent der Mammakarzinome – unter 50 Jahren ca. 20 Prozent und über 70 Jahren ca. 30 Prozent. Außerhalb des Mammographie-Screenings steht für die oben genannten Altersgruppen somit keine röntgenologische Prävention zur Verfügung.

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) erlaubt nach dem Bescheid vom 31.07.02 eine Mammographiediagnostik außerhalb des Screenings nur bei konkreten Verdachtsmomenten einer Krankheit. Somit sind jegliche präventive Mammographien bei jüngeren und älteren Patienten verboten.

Es ist nicht zu begreifen, dass die Durchführung einer Mammographie zum Beispiel mit 49 Jahren als Körperverletzung gilt und die mit 50 Jahren als eine dringend empfohlene Brustkrebsvorsorge.

Wie verhält sich ein/e Gynäkologe/Gynäkologin dann aber bei einer 45jährigen Patientin, die eine vorsorgliche Mammographie wünscht? Der Arzt muss diese Untersuchung aus rechtlichen Gründen verweigern, weil ja keine medizinische Indikation vorliegt. Erkrankt dieselbe Patientin ein Jahr später an einem Mammakarzinom, hat der Arzt ein Haftungsproblem. Verordnet er dagegen eine Überweisung mit einer nicht korrekten Indikation, begeht der Arzt Versicherungsbetrug (sog. „graue“ Mammographie).

Ich möchte Sie daher dringend bitten, neue Verhandlungen über die „Selbstzahlermammographie“ – also der freiwilligen Röntgenuntersuchung außerhalb des Mammographie-Screenings – aufzunehmen. Die „Selbstzahlermammographie“ – nach umfassender Aufklärung über Risiko und Nutzen – sollte eine röntgenologische Prävention sein, für die sich jede Frau eigenverantwortlich und aus freien Stücken entscheiden kann.

Die Forderung nach mehr Eigenverantwortung für eine Frau wird hiermit exemplarisch und öffentlich demonstriert, andernfalls ist zu befürchten, dass die Frauen zunehmend entmündigt werden. Im Übrigen wäre die „Selbstzahlermammographie“ eine nicht unwesentliche Entlastung für die Kostenträger.

Ich möchte Sie also nochmals dringend bitten, eine Initiative der Prävention des Mammakarzinoms außerhalb des Screenings anzugehen und sowohl die Gesundheitserhaltung der Frauen zu unterstützen als auch die unerträgliche Rechtsunsicherheit für die niedergelassenen Gynäkologen/Gynäkologinnen zu beenden.

Über eine konstruktive Zusammenarbeit würde ich mich sehr freuen.

Mit kollegialen Grüssen
GenoGyn Rheinland
gez. Dr. Jürgen Klinghammer
(Vorstand)

Mammakarzinome. Und das bedeutet folglich, alle jüngeren und älteren Frauen sind von der röntgenologischen Prävention ausgeschlossen, obwohl rund 20 Prozent der Mammakarzinome bei Frauen unter 50 Jahren und rund 30 Prozent bei Frauen über 70 Jahren auftreten.

„Diese Situation ist mit unserem ärztlichen Gewissen unvereinbar“, sagt Dr. Jürgen Klinghammer, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, aus dem Vorstand der GenoGyn. „Wider besseren Wissens dürfen wir aufgrund der Rechtslage keine präventive Mammographie außerhalb des Screenings durchführen, denn sie gilt bei einer 50-jährigen Patientin als eine dringend empfohlene Brustkrebsvorsorge, bei einer 49-Jährigen aber als Körperverletzung.“ In der Praxis gestaltet sich das Dilemma für den Frauenarzt folgendermaßen: „Einer beschwerdefreien 45-jährigen Patientin muss ich eine vorsorgliche Mammographie verweigern, weil keine medizinische Indikation vorliegt. Erkrankt dieselbe Patientin ein Jahr später an einem Mammakarzinom, habe ich ein Haftungsproblem. Verordne ich dagegen eine Überweisung mit einer nicht korrekten Indikation, begehe ich mit dieser so genannten ‚grauen Mammographie‘ einen Versicherungsbetrug“.

Die GenoGyn fordert den Berufsverband der Frauenärzte e.V. und den Berufsverband der Deutschen Radiologen e.V. sowie die Ärztekammern deshalb auf, schnellstmöglich eine Klärung der Rechtslage herbeizuführen. In einem offenen Brief an den Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Köhler, appelliert die Genossenschaft der Frauenärzte, neue Verhandlungen über eine freiwillige Röntgenuntersuchung auf Selbstzahler-Basis außerhalb des Mammographie-Screenings aufzunehmen und damit die Gesunderhaltung der Frauen zu unterstützen und die unerträgliche Rechtsunsicherheit für die niedergelassenen Gynäkologen zu beenden. „Es muss möglich sein, dass sich eine Patientin nach entsprechender Aufklärung eigenverantwortlich für oder gegen eine röntgenologische Prävention entscheiden kann. Der jetzige Zustand kommt einer Entmündigung der Frauen gleich!“, so Dr. Jürgen Klinghammer.

Ihre wiederholt geäußerte, generelle Kritik am Mammographie-Screening hält die GenoGyn aufrecht: „Das Screening in seiner bestehenden Form ist staatlich gewollt, aus medizinischer Sicht aber unvollständig, denn es handelt sich lediglich um eine maschinelle Röntgen-Reihenuntersuchung ohne Arztkontakt. Eine körperliche Untersuchung sowie eine Ultraschalluntersuchung gehören nicht dazu, wenngleich beides zur größtmöglichen Diagnosesicherheit erforderlich ist.“ Die Folge seien eine falsche Sicherheit und eine unnötig große seelische Belastung der Frauen, die ohne Arztgespräch auf ihr Ergebnis warten und unter Umständen kommentarlos wieder einbestellt würden.

Weitere Informationen:
Der Brief an die KBV ist unter Offener Brief an den KBV-Vorsitzenden vom 14.7.2008 einzusehen.