Ärztenachrichtendienst, 29.07.2016 – WHI-Studie zur Hormonersatztherapie – Gynäkologen kritisieren jahrelange Fehlinterpretation
Es war im Jahr 2002, als sie Ergebnisse der Women’s Health Initiative-Studie (WHI) mit rund 16.000 Studienteilnehmerinnen bei vielen Frauen in den Wechseljahren für schlaflose Nächte sorgten: Die Hormonersatztherapie, so hieß es, sei mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden. Hunderttausende Frauen brachen die Behandlung ab oder verweigerten sie ganz. „Jetzt kam heraus: Die Studie wurde fast 15 Jahre lang falsch gedeutet“, schreiben Gynäkologen der Ärzteorganisation GenoGyn. „Uns Frauenärzten ist es wichtig, über diese Fehlinterpretation aufzuklären und den Frauen die Angst vor der Hormonersatztherapie zu nehmen“, sagt GenoGyn-Vorstand Dr. Jürgen Klinghammer, der selbst Gynäkologe ist. „Inzwischen wissen wir, dass der gesundheitliche Nutzen dieser Behandlung die Risiken bei richtiger Anwendung deutlich übersteigt.“ Die beiden amerikanischen Autoren Dr. JoAnn E. Manson und MD Andrew M. Kaunitz hätten kürzlich im „New England Journal of Medicine“ auf die fehlerhafte Deutung ihrer Studiendaten hingewiesen. So habe es sich bei den Teilnehmerinnen der WHI-Studie vorwiegend um Frauen gehandelt, welche die Wechseljahre bereits hinter sich hatten. Außerdem hätten bei etwa jeder zweiten gesundheitliche Risikofaktoren wie Übergewicht und Bluthochdruck vorgelegen. Zudem rauchten viele oder litten unter Vorerkrankungen wie Diabetes und Herzerkrankungen.
„Hinzu kommt, dass alle Patientinnen dasselbe Präparat mit derselben, nach heutigem Wissensstand viel zu hohen Dosierung verabreicht bekommen haben. Das war der Kardinalfehler der WHI-Studie“, erklärt Prof. Bernd Kleine-Gunk, Gynäkologe und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging Medizin e.V. (GSAAM). Auch er wolle Frauen die Angst vor der Hormonbehandlung nehmen. „Es brauche Zeit, das Vertrauen der Patientinnen in diese Therapiemaßnahme wieder zu stärken. Doch der Nutzen der Therapie – besonders im Bereich der Präventionsmedizin“, sei erheblich, sagt er. „Aktuelle Studien zeigen, dass zehntausende von Frauen unnötigerweise vorzeitig verstorben sind, weil sie auf eine Hormonersatztherapie verzichtet haben.“ Eine richtig angewandte Hormonersatztherapie könne das Leben verlängern, weil die Gabe von Hormonen in den Wechseljahren nicht nur akute Beschwerden wie Hitzewallungen und Stimmungsschwankungen lindere. „Richtig eingesetzt hat sie eine vorbeugende Wirkung gegen Osteoporose, Arteriosklerose und sogar Alzheimer.“
Mit fortschreitendem Alter sei die Einnahme von Hormonen allerdings mit Risiken verbunden. Zeigten die Arterien bereits deutliche Ablagerungen, steige das Risiko für einen Herzinfarkt zusätzlich an. „Eine vollständige Entwarnung gibt es daher nicht. Wichtig ist, dass sich die Frauen bewusst machen, dass die Hormone Östrogen und Gestagen nicht nur schlecht oder gut sind“, sagt Kleine-Gunk. Es komme immer auf den richtigen Zeitpunkt der Therapie und den Gesundheitszustand der Patientin an. Die Hormonersatztherapie sei eine sehr individuelle Sache.