Bewährte Früherkennung in Gefahr Frauenärzte der GenoGyn kritisieren Änderungspläne zur Prävention von Gebärmutterhalskrebs (04.07.2014)
Köln. Mit zuletzt knapp 4700 Neuerkrankungen im Jahr gehört Gebärmutterhalskrebs in Deutschland inzwischen zu den selteneren Tumorerkrankungen bei Frauen – in der Liste der häufigsten Tumorlokalisationen führt das Robert-Koch-Institut (RKI) das Zervixkarzinom (CxCa) heute nur noch auf Rang zwölf. Diese positive Entwicklung rechnet die ärztliche Genossenschaft GenoGyn besonders dem gesetzlichen Programm zur Krebsfrüherkennung zu. „Dieses Programm funktioniert sehr gut, und es ist erfolgreicher als die anderer europäischer Länder. Eine Steigerung dieses Erfolgs ließe sich nur dadurch erzielen, dass noch mehr Frauen teilnähmen“, sagt Dr. Wolf Dieter Fiessler aus dem GenoGyn-Vorstand. Dennoch will das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mit seinem Nationalen Krebsplan das Programm zügig den „Europäischen Leitlinien für die Qualitätssicherung des Zervixkarzinom-Screenings“ anpassen. „Diese EU-Leitlinien sind nicht evidenzbasiert. Gleichwohl sollen sie als Anlass dienen, Verlängerungen des Untersuchungsintervalls, Anpassungen der Altersgrenzen und sogar methodische Standards, weg vom zytologisch basierten PAP-Screening hin zu einem HPV-Test, zu prüfen“, kritisiert Dr. Fiessler und sieht Gefahr für die bewährte Krebsfrüherkennung in Deutschland.
Seit 1971 können Frauen ab einem Alter von 20 Jahren hierzulande einmal jährlich als Kassenleistung eine Früherkennungsuntersuchung auf Gebärmutterhalskrebs in Anspruch nehmen. Diese erfolgt im Rahmen der gynäkologischen Früherkennung nach der sogenannten PAP-Methode, bei der mittels eines Abstrichs vom Muttermund die Morphologie der Zellen beurteilt und Krebsvorstufen oder Zervixkarzinome nachgewiesen werden. Seit Einführung dieses Programms ist die bis dahin im Europa-Vergleich sehr hohe Rate von CxCa-Neuerkrankungen in Deutschland um mehr als 70 Prozent gesunken, und die Zahl der jährlichen Sterbefälle durch Gebärmutterhalskrebs hat sich laut RKI parallel auf heute rund 1500 mehr als halbiert. Denn rechtzeitig im Screening erkannte Krebsvorstufen können entfernt werden, bevor sie sich zu invasiven Karzinomen entwickeln.
Ein anderer Ansatz zielt auf die Erkennung eines zentralen Risikofaktors und Auslösers der Entstehung eines Zervixkarzinoms: die Humanen Papillomviren (HPV). Mit dem sogenannten HPV-Test, der derzeit bei unauffälliger Zytologie privat gezahlt werden muss, kann eine meist sexuell übertragene Infektion nachgewiesen werden. Allerdings wird der Großteil aller Frauen im Laufe des Lebens mit HPV infiziert, und meistens heilt diese Infektion folgenlos aus. „Mit dem Test kann nur eine HPV-Infektion nachgewiesen werden, nicht aber, ob sie bereits zu Veränderungen von Gewebe oder Zellen geführt hat. Es ist kein gynäkologischer Krebstest“, sagt Dr. Bodo Jordan, Frauenarzt aus dem Aufsichtsrat der GenoGyn.
Gleichwohl wurde das unabhängige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit einer Nutzenbewertung des HPV-Tests für die Anwendung im Primärscreening beauftragt. Wie schon zwei Jahre zuvor kam das IQWiG auch im Mai 2014 abermals zu dem Fazit, dass aufgrund unzureichender Daten der Nutzen des HPV-Screenings hinsichtlich der patientenrelevanten Endpunkte Gesamtüberleben und krankheitsspezifische Mortalität unklar bleibt. Entsprechend lehnen die Frauenärzte der GenoGyn Überlegungen zu einem Paradigmenwechsel bei der Prävention des Zervixkarzinoms – weg von der zytologischen Screening-Strategie hin zum HPV-Test – ab. Ein solcher Wechsel sei nur bei eindeutig belegtem Nachweis des Nutzens berechtigt. Angesichts rund zehn Prozent falsch positiver Befunde durch den HPV-Test sei das Schadenspotenzial für Betroffene durch resultierende Verunsicherung, beeinträchtigte Lebensqualität und möglicherweise Übertherapie kaum abzusehen.
Trotz des IQWiG-Fazits haben sich die Pro- und Contra-Fronten zum HPV-Test weiter verhärtet. In einer Expertengruppe, die eine S3-Leitlinie zur Prävention des Zervixkarzinoms erarbeiten soll, sind laut Dr. Jordan inzwischen nur noch Befürworter des HPV-Tests im Primärscreening vertreten, da alle anderen Fachgesellschaften und Berufsverbände mit der Begründung ausgetreten sind, dass weder die Zielsetzung noch die Koordination der Arbeit ergebnisoffen ausgerichtet seien. „Diese Verwerfungen erklären sich einfach. Es geht um viel Geld, und die HPV-Industrie betreibt auf allen Ebenen intensive Lobbyarbeit“, so Dr. Jordan, der als Vorsitzender des Vorstands der Arbeitsgemeinschaft zytologisch tätiger Ärzte in Deutschland e.V. (AZÄD) bis zum Austritt in der Gruppe tätig war.
Ebenfalls kritisch wird von Frauenärzten eine mögliche Streckung des jährlichen Untersuchungsintervalls gesehen. Sie erhöhe das Risiko sogenannter Intervalltumore. Das Auftreten von Karzinomen zwischen den Screening-Intervallen kann Folge davon sein, dass ein Tumor beim vorigen Screening schlicht übersehen wurde. Ebenso kann er auch erst danach entstanden und sehr schnell gewachsen sein, ehe er vor dem nächsten Screening entdeckt wurde.
Einer Optimierung des Krebsfrüherkennungsprogramms stehen die Frauenärzte der GenoGyn grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber, insbesondere wenn es um die Steigerung der Teilnahmerzahlen geht. Gegenwärtig haben 60 Prozent der Frauen zum Zeitpunkt der Zervixkarzinom-Diagnose in den vorherigen fünf Jahren keine Vorsorgeuntersuchung in Anspruch genommen. Ob dies wie vom Gesetzgeber geplant durch ein organisiertes Programm mit Einladungsmodell erreicht wird, scheint mit Blick auf Großbritannien, das hierzulande häufig als Beispiel für die EU-Empfehlungen zur Krebsfrüherkennung genannt wird, eher ungewiss. In beiden Ländern sind die Teilnahmeraten trotz unterschiedlicher Systeme ähnlich, nur bei älteren Frauen liegt das britische Einladungsmodell vorn. Nach Einschätzung von GenoGyn-Vorstand Dr. Fiessler könnte eine Ausweitung von gezielten Informationskampagnen und Erinnerungsschreiben den gleichen Effekt erzielen. Einen Methodenwechsel in der Früherkennung des Zervixkarzinoms durch einen HPV-Test im Primärscreening lehnen die GenoGyn-Frauenärzte grundsätzlich ab, solange dessen Nutzen unklar sei. Nur eine nachhaltig größere Senkung der Neuerkrankungsraten als durch das existierende Krebsfrüherkennungsprogramm dürfe hierbei das Maß für den Nutzen sein